Hamburg,
16. Juli 2020
Der von der Rudolf Augstein Stiftung mitinitiierte Report „Wozu Non-Profit-Journalismus?“ erscheint im September 2020. Über die Relevanz der Publikation und die Potenziale des gemeinnützigen Journalismus in Deutschland haben wir mit unseren Kooperationspartner*innen in einem Interview gesprochen.
Das Gespräch führte Florian Hinze (Phineo) mit Kitty von Bertele (Luminate), Lukas Harlan (Schöpflin Stiftung) und Stephanie Reuter (Rudolf Augstein Stiftung). Der Report ist kostenfrei als Print und eBook erhältlich. Für Ihre Vorbestellung schicken Sie uns gerne eine E-Mail.
Florian Hinze: Zum Thema Non-Profit-Journalismus in Deutschland gibt es zahlreiche Veröffentlichungen. Warum jetzt noch einen weiteren Report?
Lukas Harlan: Es braucht eine Übersicht, die sowohl die Zusammenhänge und Entwicklungen im Sektor abbildet als auch Investitionsmöglichkeiten aufzeigt. Derzeit bietet der Markt nichts, was in Richtung Entscheidungsvorlage geht. Das wollten wir ändern!
Kitty von Bertele: Uns allen ist an einer freien und lebendigen Presselandschaft gelegen, und dazu gehört, unabhängige Medien zu fördern. Wir brauchen eine vierte Gewalt, die frei ist von Eigeninteressen.
Stephanie Reuter: Genau! Wir verfolgen zweierlei Ansätze: Erstens möchten wir verdeutlichen, welches Potenzial in diesem Bereich schlummert, und zweitens wollen wir die entscheidenden Hebel zeigen, mit denen sich diese Potenziale heben lassen.
Florian Hinze: Warum braucht es denn überhaupt gemeinnützigen Journalismus?
Stephanie Reuter: In Deutschland haben wir zwar hochwertigen Journalismus, sowohl von Öffentlich-Rechtlichen als auch von Verlagen. Allerdings steht dieser immer stärker unter Druck. Mit der Digitalisierung und dem Medienwandel verschärft sich die Finanzierungskrise. Der gemeinnützige Journalismus eröffnet neue Finanzierungswege und stärkt im besten Fall dadurch unsere Demokratie.
Lukas Harlan: Exakt. Wir beobachten eine Knappheit von Ressourcen, weil Geschäftsmodelle nicht mehr funktionieren, und diese Knappheit gefährdet die Medienvielfalt. Zudem mangelt es an zielgruppengerechten Angeboten für die nachkommenden Generationen, insbesondere an digitalen Angeboten. Und drittens, ich beobachte eine zunehmende Einschränkung der Informations-, Meinungs- und Pressefreiheit auf internationaler Ebene, und auch in Deutschland gibt es entsprechende Tendenzen. All diesen Entwicklungen möchten wir aktiv entgegenwirken.
Kitty von Bertele: Eine Welt ohne mediale Unabhängigkeit und Pluralität ist anfällig für Korruption und Autoritarismus. Die Öffentlichkeit misst Medien seit einiger Zeit immer weniger Relevanz bei – für einige Regierungen ein Freibrief, die Presse- und Medienfreiheit zu untergraben. Wir möchten, dass Deutschland als Umfeld für unabhängige Medien floriert und einigen dieser internationalen Trends entgegenwirkt.
Florian Hinze: Welche Potenziale bietet gemeinnütziger Journalismus?
Stephanie Reuter: Aus meiner Sicht ist gemeinwohlorientierter Journalismus der passendere Begriff. Bei diesem geht es nicht um Gewinnmaximierung, sondern um Public Service: Die Erkenntnis steht vor etwaigen Erlösen. Gerade in Bereichen, in denen wir ein Marktversagen beobachten – ich denke an Investigativ- oder Lokal-Journalismus –, sind diese Angebote wichtig. Aber auch, wenn es darum geht, Journalismus neu zu denken, setzen gemeinwohlorientierte Angebote wichtige Impulse. Sie experimentieren mit neuen Formen und setzen auf Kollaboration statt Konkurrenz. Sie recherchieren vielfach gemeinsam, um Missstände aufzudecken. Es gilt, möglichst große Wirkung zu erzielen – und Vertrauen zurückzugewinnen.
Kitty von Bertele: Investigativjournalismus oder Lokalnachrichten sind Formate, die klassisch gewinnorientierter Journalismus in den meisten Fällen nicht mehr finanzieren kann. Gemeinnütziger Journalismus kann an diesen Stellen für reichlich „Public good“ sorgen, weil er die Möglichkeit bietet, verschiedene Geschäftsmodelle zu testen!
Florian Hinze: Stichwort Finanzierung: Ein oft gehörtes Argument lautet, dass eine Stiftungsförderung keineswegs mehr Unabhängigkeit mit sich bringt.
Stephanie Reuter: Die journalistische Unabhängigkeit hat oberste Priorität. Deshalb fördert die Rudolf Augstein Stiftung rein strukturell. Das heißt, wir vergeben keine Rechercheförderungen. Wer das tun möchte, kann eine Organisation wie das Netzwerk Recherche als „Firewall“ zwischenschalten. Das hieße: Die Firewall-Organisation sammelt Fördergelder, beurteilt Bewerbungen unabhängig und finanziert dann aus diesem Topf Projekte, ohne dass es zu einem direkten Geldfluss zwischen einer Stiftung und einem journalistischen Projektpartner kommt. Zudem ist es wichtig, ein Projekt möglichst frühzeitig auf eine breite Unterstützer-Basis zu stellen. Abhängigkeitsverhältnisse zu vermeiden, dafür sind nicht nur die Projekte zuständig, das liegt auch in der Verantwortung der Förder*innen.
Lukas Harlan: Das möchte ich unterstreichen: Die organisatorische Unabhängigkeit sollte mit der journalistischen Unabhängigkeit einhergehen! Wenn ich als Förderer eine Kernfinanzierung leiste und die mit keinerlei inhaltlicher Ausrichtung verknüpfe, dann hat das Projekt die komplette Freiheit, genau die Geschichten zu recherchieren, die es für notwendig hält. Da sollte man sich als Förderer in der Verantwortung sehen, das zu ermöglichen.
Kitty von Bertele: Eigenverantwortung und redaktionelle Unabhängigkeit sind für uns Kernelemente. Bei von uns geförderten Organisationen führen wir mithilfe von Dritten redaktionelle Prüfungen durch – diese dienen dazu, sicherzustellen, dass die Akteure auf unvoreingenommene Art und Weise berichten.
Florian Hinze: Woran erkennt ihr, ob ein Projekt „wirkt“?
Lukas Harlan: Da gibt es zwei Ebenen, einmal die Wirkungen innerhalb der Organisation und einmal außerhalb, also in die Gesellschaft hinein. Auf organisationaler Ebene heißt das, ein Output oder Outcome ist erreicht, wenn die Projekte größer werden, einen neuen Standort aufmachen, das gesamte Projekt stabiler und nachhaltiger finanziert ist. Die Erreichung sogenannter Meilensteine also. Und nach außen hin heißt das, wie gut ist die Berichterstattung, wie erfolgreich sind Kooperationen, welche Themen werden durch investigative Recherchen aufs Tableau gehoben, gab es aufgrund der Recherchen Auswirkungen auf Gesetzgebung. Organisationen mit Fördererfahrung nehmen diese beiden Ebenen gleichermaßen in den Blick.
Florian Hinze: Was sind denn die größten Herausforderungen, und wo stehen sich die die Akteure womöglich selbst auf den Füßen?
Stephanie Reuter: Derzeit gibt es schlicht zu wenig Förderung. Das führt dazu, dass teils großartige Ideen nicht umgesetzt werden können. Ich spreche jedoch nicht nur von finanzieller Förderung. Es gibt auch Bedarf an Coaching und Mentoring. Schließlich haben wir es häufig mit sehr engagierten Journalist*innen zu tun, die gründen. Diese benötigen auch Business-Kompetenzen. Inkubator- und Accelerator-Programme können hier helfen. Doch für Journalist*innen gibt es bis dato nur wenige solcher Angebote. Auch Netzwerkakteure, die das Feld insgesamt stärken und sich für bessere rechtliche Rahmenbedingungen einsetzen, wären hilfreich. Vorbild könnte das Institute for Nonprofit News aus den USA sein.
Lukas Harlan: Dafür, dass so wenig Geld da ist und man häufig auf Hilfskonstruktionen ausweichen muss, ist vieles erstaunlich stabil. Aufgrund der Rechtslage sind Projekte derzeit gezwungen, über Umwege Einnahmen zu erzielen, indem sie etwa Bildungsarbeit leisten, was ihnen zur Gemeinnützigkeit verhilft. Will man das nicht, ist das natürlich Irrsinn: Du willst eigentlich journalistisch arbeiten, musst dich aber um Bildungsarbeit kümmern – was wertvolle Ressourcen frisst und dich von deiner Mission entfernt.
Florian Hinze: Was könnten die Akteure selbst beitragen, damit sich das Feld entwickelt?
Lukas Harlan: Ich würde eine stärkere Vernetzung anregen, also dafür sorgen, dass der Sektor mit einer Stimme spricht und so im politischen Raum einen größeren Impact erreicht.
Kitty von Bertele: Ich glaube, es bräuchte eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den Akteuren, um Ideen, Innovationen und Infrastruktur gemeinsam zu nutzen. Förder*innen könnten für solche Kooperationen Anreize schaffen, natürlich in Partnerschaft mit den Organisationen, die die Arbeit machen.
Weitere Informationen zum Bericht finden Sie hier.